Catherine Belton: "Wie die Tentakel des Kremls" (2024)

Catherine Belton: "Es gibt ein Netzwerk der Superreichen, das wie die Tentakel des Kremls fungiert"

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ZON: Direkt nachdem Putin an die Macht gekommen war, beerdigteer die großen unabhängigen Medien. Heute gibt es in Russland im Grunde kein wichtigesfreies Medium mehr. Ist es noch möglich, sich verlässlich zuinformieren?

Belton: Das wird tatsächlich immer schwieriger. DieWebsites vieler westlicher Medien sind blockiert, aber über VPN noch abrufbar. Esgibt noch vereinzelt unabhängige russische Medien, die exzellente Arbeitmachen, Meduza etwa.

ZON: DIE ZEIT und ZEIT ONLINE arbeiten mit Meduza zusammen, die Redaktion sitztnicht mehr in Russland.

Belton: Dann gibt es noch die Investigativplattform Proekt, die hat kürzlich eine sehr gute Rechercheüber die russischen Streitkräfte in der Ukraine veröffentlicht, mit Zahlengefallener Soldaten und einem Bericht über die Proteste in den Einheiten. DieseMedien sind aber nur einer gebildeten Elite in den Städten bekannt, auf einem sibirischenDorf werden sie sicher nicht gelesen.

ZON: Ihr Buch kann man auch als die bisher detailreichsteLandkarte jenes finanziellen Netzwerks lesen, das Putin und seine Leute überdie Jahre erschaffen haben. Können Sie dieses komplexe Schwarzgeld-System fürdie Laien unter uns einmal erklären?

Diese Mittelsmänner nutzen das Geld, um sich politische Verbündete zu kaufen oder Maßnahmen zur Destabilisierung der westlichen Demokratien zu finanzieren

Belton: Die Taktik wurde schon zu Sowjetzeiten vom KGBangewandt. Sie beruht im Wesentlichen auf Strohfirmen und Mittelsmännern, andie Waren zum Schleuderpreis verkauft werden, zum Beispiel Erdöl. Diese Mittelsmännerverkaufen es dann zu Weltmarktpreisen weiter, stecken sich den Gewinn in dieeigene Tasche und nutzen das Geld, um sich politische Verbündete zu kaufen oderMaßnahmen zur Destabilisierung der westlichen Demokratien zu finanzieren – vonder Unterstützung radikaler Parteien bis hin zur Bestechung und Korruption vonAmtsträgern. Putin setzt diese Taktik nun im großen Stil um, indem er und seineSeilschaften aus ehemaligen KGB-Agenten die einträglichsten Geschäftsfelderbesetzt haben, die Ölindustrie etwa seit der Verhaftung von MichailChodorkowski.

ZON: Er war damals, im Jahr 2003, als Vorstandsvorsitzender des Ölkonzerns Yukos vermutlich derreichste Mann Russlands.

Belton: Chodorkowskis Verhaftung war der Wendepunkt, einWarnschuss an die Oligarchen, die es im Chaos der Jelzin-Jahre zu großemReichtum und Macht gebracht und der Politik des Kremls ihren Stempelaufgedrückt hatten. Von da an war klar, wer jetzt das Sagen hat. Wenn sogar einGigant wie Chodorkowski wegen fadenscheiniger Vorwürfe der Steuerhinterziehungzu zehnjähriger Gefängnishaft verurteilt und sein Unternehmen zerschlagenwerden konnte, dann war keiner von ihnen mehr sicher. Um ihr Vermögen vor demZugriff des Kremls in Sicherheit zu bringen, erwiesen sie ihm Gefälligkeitenoder folgten seinen Befehlen. Anders gesagt, die ehemals mächtigen Oligarchenwurden gezwungen, dem Kreml einen Teil ihres Reichtums abzutreten. Einer vonihnen sagte mir: "Wenn der Kreml anruft und mich bittet, ein oder zweiMilliarden US-Dollar in ein Geschäft zu stecken, dann ist das keine Bitte, dieman ablehnen könnte." Es gibt also ein Netzwerk der Superreichen, das wie dieTentakel des Kremls fungiert und dessen Einflussnahme weit über Russlandhinausreicht. Es gibt Unternehmen, die an westlichen Börsen gelistet sind, undein Vermögen von mehreren Hundert Milliarden US-Dollar aus verdecktenOffshore-Geschäften, das auf Konten im Westen parkt. Mithilfe dieser Gelderhaben Putin und seine Leute in Russland dafür gesorgt, dass die Wahlen inihrem Sinne ausgingen, haben Staatspropaganda finanziert und sichergestellt,dass sie Politiker in der Hand haben. Sobald sie eine bestimmte kritische Massean Geld angehäuft hatten, konnten sie etwas davon abzweigen, um den Westen zuuntergraben.

ZON: Den Begriff "Oligarch"verwendet man im Zusammenhang mit Russland oft, ohne viel darüber nachzudenken.Könnten Sie ihn als ausgewiesene Expertin einmal definieren? Was ist einOligarch?

Belton: Die ursprünglichen Oligarchen erlangten ihrVermögen in den Zeiten von Präsident Boris Jelzin und sind heute völligausgebootet. Unter Putin gibt es so etwas wie Oligarchen nicht. In den 90ern beschriebdas Wort den Klüngel russischer Geschäftsmänner, die die Kronjuwelen dersowjetischen Industrie zum Spottpreis privatisiert hatten. Er wurde benutzt,weil diese Geschäftsmänner so mächtig waren, dass sie Jelzins Regierung ihrenWillen aufzwingen konnten, in der wahren Bedeutung des Wortes: eine Person, dieeiner kleinen Gruppe angehört, die die Macht im Staat hat. Bald, nachdem Putinan die Macht kam, strebte er danach, dieses Machtparadigma zu stürzen. DieGleichung hat sich völlig verändert und die sogenannten Oligarchen wurdenSklaven des Kremls. Deswegen versuche ich, den Begriff in meinem Buch zuvermeiden und diese Geschäftsleute schlicht "Milliardäre" oder "Tycoons"zu nennen.

ZON: Welche Position hat ausIhrer Sicht Oleg Deripaska in dieser Gruppe? Er spielt die zentrale Rolle im Titel-Dossierder aktuellen ZEIT.

Belton: Deripaska war der erste Tycoon, der sichöffentlich dazu äußerte, wie sich das Machtparadigma unter Putin veränderthatte. Und zwarin einem Interview mit mir im Jahr 2007, in dem er sagte,er werde den russischen Staat nicht bekämpfen, sondern er werde alles aufgeben–gemeint war sein Wirtschaftsimperium –wenn der Kreml ihn darumbitte. Zum ersten Mal wurde klar, dass die Oligarchen begriffen hatten, dasssie nicht mehr waren als angestellte Manager. Deripaska war stets bestrebt, demKreml seinen patriotischen Wert zu demonstrieren. Das Geheimdienstkomitee desUS-Senats etwa zeigte auf, wie er mit dem Kreml zusammengearbeitet hat, um dieRegierung in Montenegro zu stürzen, die pro Nato eingestellt war. Auch inGuinea und anderen Ländern hat er die Interessen des Kremls unterstützt, seineGeschäfte dort dienten als dessen verlängerte Arme. Allerdings ist dieseBeziehung seit dem Einmarsch in die Ukraine gestört. Deripaska ist einer derlautesten Kritiker von Putins Krieg. Er war einer der ersten, die aus der Reihetanzten.

ZON: Nach Erscheinen Ihres Buchs hagelte esVerleumdungsklagen. Sie mussten sich gegen vier Oligarchen und den ÖlkonzernRosneft juristisch zur Wehr setzen. Pikanterweise fängt Ihr Buch genau damitan, dass Oligarchen in London sich die Eigenheiten des britischen Rechtssystemszunutze machen, um kritische Presseberichte über ihre finanziellenMachenschaften zu unterdrücken. Sie müssen also damit gerechnet haben, selbstverklagt zu werden?

Belton: Überhaupt nicht, das ist ja das Verrückte! Ausmeinen Recherchen kannte ich zwar die Methoden, mit denen der Kreml dasbritische Rechtssystem nutzt oder vielmehr missbraucht, um politische Gegner inEngland auszuschalten. Aber ich hätte im Traum nicht daran gedacht, dass siesich auch gegen mich wenden könnten. Als das Schreiben von AbramowitschsAnwälten ein Jahr nach der Publikation des Buches eintraf, war ich wie vomDonner gerührt.

ZON: Sie sprechen von Roman Abramowitsch, damals nochEigentümer des FC Chelsea. Warum erst nach einem Jahr?

Belton: Das ist die Verjährungsfrist in solchen Fällen.Seine Anwälte hatten sich bereits unmittelbar nach Veröffentlichung meinesBuches in einem Schreiben an meinen Verlag HarperCollins und an mich gewandt.Darin nahmen sie insbesondere Anstoß an einer einzigen Zeile, in der dreiseiner ehemaligen Geschäftspartner mit der Behauptung zitiert werden, er habeden Chelsea Football Club auf Geheiß Putins und mit dem Ziel gekauft, RusslandsSoftpower und Einfluss im Vereinigten Königreich zu stärken. Abramowitsch erklärte,dies sei falsch und verleumderisch. Wir antworteten, der in Frage stehendeVorwurf habe seinem Pressesprecher vorgelegen, dieser habe dazu Stellunggenommen und auch diese Stellungnahme sei abgedruckt worden. ZumWahrheitsgehalt der Behauptungen selbst haben wir uns nicht geäußert, sondernnur dargestellt, dass sowohl die Aussage als auch die Gegenaussage ins Buchaufgenommen wurden. Der Kauf des FC Chelsea war zum Symbol geworden für dierussische Präsenz in London mit ihren gewaltigen Finanzmitteln. Es gingen nochein paar Briefe hin und her und dann herrschte gut acht Monate lang Funkstille.Kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist traf dann wie aus heiterem Himmel AbramowitschsKlage bei uns ein. Wenige Tage später folgte eine Klageandrohung von MichailFridman von der Alfa Group …

ZON: … dessen Investmentfirmaam deutschen Energieversorger Wintershall beteiligt ist …

Belton: … und der nur ganz amRande von mir erwähnt wird. In den knapp zwölf Monaten zuvor hatte er sich nichtein einziges Mal zum Buch geäußert. Und kurz darauf kam dann noch eine vonAlischer Usmanow, einem Milliardär mit Verbindungen zum Kreml, der inzwischenmit Sanktionen belegt wurde …

Glücklicherweise hat der Verlag sich nicht einschüchtern lassen

ZON: … und der in Deutschlandauch deswegen bekannt ist, weil er einige Villen am Tegernsee besitzt.

Belton: Ich wusste nicht, obHarperCollins es sich leisten konnte, sich gegen so viele Klagen gleichzeitigzur Wehr zu setzen, zumal es in Großbritannien für Medien sehr teuer ist, sichvor Gericht zu verteidigen. Und zu guter Letzt stellte sich dann auch nochheraus, dass Rosneft und ein weiterer Milliardär mit engen Beziehungen zumKreml eine Verleumdungsklage eingereicht hatten, ohne dass wir auch nur davongehört hatten. Insgesamt also fünf Klagen, eine weitere Drohung schaffte esnicht vor Gericht. Mir war lange unklar, ob HarperCollins in der Lage seinwürde, das Buch zu verteidigen, oder ob es zurückgezogen werden musste.Glücklicherweise hat der Verlag sich nicht einschüchtern lassen, und wir konntendie meisten Klagen abwehren.

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